Komplizierte Rechtslage: Umsatzsteuer in der Arztpraxis – Teil 2
Auch individuelle Gesundheitsleistungen können von der Umsatzsteuer befreit sein.

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Im Teil 1 dieses Beitrags haben wir auf die Kleinunternehmerregelung Bezug genommen, auf die sich der Arzt bei Einhaltung der dort genannten Grenzwerte berufen und so die Umsatzsteuer vermeiden kann. Diese Regelung hat durch eine Gesetzesänderung zum 1. Januar 2025 eine komplette Überarbeitung erfahren, deshalb soll die neue Rechtslage an dieser Stelle noch dargestellt werden.
§ 19 UStG wurde neu gefasst. Gemäß neuem Recht sind die von inländischen Kleinunternehmern bewirkten Umsätze i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerfrei, wenn der Gesamtumsatz nach § 19 Abs. 2 UStG im vorangegangenen Jahr 25.000 Euro (bis 2024 22.000 Euro) nicht überschritten hat und im laufenden Kalenderjahr 100.000 Euro (bis 2024 50.000 Euro) nicht überschreitet. Wird dieser untere inländische Grenzwert im laufenden Kalenderjahr überschritten, scheidet im Folgejahr eine Inanspruchnahme der Kleinunternehmerregelung aus. Mit diesen erhöhten Grenzen können deutlich mehr Ärzte die Kleinunternehmerregelung nutzen. Wird jedoch der Grenzwert von 100.000 Euro im laufenden Jahr überschritten, entfällt die Berechtigung zur Kleinunternehmerregelung ab dem Überschreitungszeitpunkt. Das heißt, dass der Arzt unterjährig umsatzsteuerpflichtig werden kann und in ein und demselben Jahr zum Teil umsatzsteuerfreie und umsatzsteuerpflichtige Umsätze haben kann. Der Gesamtumsatz ist nach vereinnahmten Entgelten zu berechnen. Eine Hinzurechnung einer Umsatzsteuer erfolgt nicht mehr. Es ist also von den vereinnahmten Entgelten, ohne eine Umsatzsteuer auszugehen (Netto-Ist-Umsatz). Übt der Arzt seine berufliche Tätigkeit nur für einen Teil des Kalenderjahres aus, entfällt ab 2025 die bisherige Umrechnung in einen Jahresgesamtumsatz. Nimmt er seine berufliche Tätigkeit auf, ist § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Gesamtumsatz im laufenden Kalenderjahr den Betrag von 25.000 Euro nicht überschreitet.
„Der Gesamtumsatz ist nach vereinnahmten Entgelten zu berechnen. Eine Hinzurechnung einer Umsatzsteuer erfolgt nicht mehr. Es ist also von den vereinnahmten Entgelten, ohne eine Umsatzsteuer auszugehen (Netto-Ist-Umsatz).“
Dr. Jörg Schade, Steuerberater
Aber welche Leistungen können in dem umsatzsteuerpflichtigen Bereich fallen und bei Überschreitung der Kleinunternehmerregelung zur Umsatzsteuerpflicht des Arztes führen? Das Spektrum dieser Tätigkeiten ist sehr weit und variiert je nach der Fachrichtung des behandelnden Arztes. Es gibt leider auch zahlreiche Abgrenzungsschwierigkeiten. Aus diesem Grund können hier nur exemplarisch einige Leistungen aufgeführt werden.
Eindeutig nicht zur umsatzsteuerbefreiten, vorbeugenden bzw. kurativen Tätigkeit eines Arztes gehören folgende Leistungen:
- Schriftstellerische Tätigkeiten, und zwar auch dann nicht, wenn die Beiträge in ärztliche Fachzeitschriften oder Fachbücher veröffentlicht werden.
- Vortragstätigkeiten, und zwar auch dann nicht, wenn diese der Fortbildung anderer ärztlicher Kollegen dienen.
- Die entgeltliche Überlassung von medizinischen Geräten.
- Die Lieferung von Hilfsmitteln, wie Kontaktlinsen, Schuheinlagen, Spiralen.
Bei anderen Leistungen ist die Abgrenzung nicht so einfach. Häufig ist in der Praxis der Irrglaube vertreten, dass sämtliche individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) umsatzsteuerpflichtig sind, weil hier keine Erstattung seitens der Krankenkassen erfolgt. Liegt diesen Leistungen ein therapeutischer bzw. medizinischer Zweck zu Grunde, sind diese aber dennoch von der Umsatzsteuer befreit. Dazu zählen die meisten Vorsorgeuntersuchungen, und zwar dann, wenn die Vorsorge auf ein bestimmtes Krankheitsbild abzielt. Als Beispiele seien genannt: Hautkrebsscreening, Glaukom-Check, Ultraschalluntersuchung zur gynäkologischen Krebsfrüherkennung oder auch PSA-Wertbestimmungen. Zu den umsatzsteuerpflichtigen IGeL-Leistungen gehören beispielsweise zusätzliche Ultraschalluntersuchungen während der Schwangerschaft ohne medizinische Indikation (sog. Baby-TV), ausschließlich ästhetische Eingriffe ohne medizinischen Hintergrund.
Auch bei der Erstellung von Gutachten gibt es viele umsatzsteuerpflichtige Bereiche. Hier ist das Ziel des Gutachtens von maßgebender Bedeutung. Dient das Gutachten dazu, einem Dritten eine Entscheidung mit Rechtswirkung zu ermöglichen, ist das Gutachten umsatzsteuerpflichtig (zum Beispiel Flugtauglichkeitsuntersuchungen, Führerscheinuntersuchungen, Gutachten für den Gesundheitszustand als Grundlage für den Abschuss von Versicherungen oder über die Erwerbsunfähigkeit als Grundlage zur Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, Pflegegutachten etc.)
Sofern die Ärztin oder der Arzt die Kleinunternehmerregelung nicht in Anspruch nehmen kann, müssen Rechnungen mit Umsatzsteuer ausgestellt und alle vom Gesetz erforderlichen Angaben in diesen Rechnungen aufgenommen werden (siehe § 14 UStG).
Was passiert, wenn die Ärztin oder der Arzt irrtümlich gegenüber Patienten Umsatzsteuer in den Rechnungen ausweisen, obwohl sie oder er diese beispielsweise aufgrund der Kleinunternehmerregelung nicht hätten ausweisen müssen? Geht man allein nach dem Wortlaut des § 14 c Abs. 1 UStG müsste der Arzt, die unberechtigt ausgewiesene Umsatzsteuer, an das Finanzamt abführen. Nach einem recht aktuellen EuGH-Urteil und einem dazu erlassenen BMF-Schreiben (BMF vom 27.02.2024, III C2 -S 7282/19/1001) soll diese Vorschrift EU-konform ausgelegt werden und nicht zum Tragen kommen, wenn keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt. Dieses sei bei Leistungen an Endverbraucher anzunehmen, weil diese nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Das trifft bei Rechnungen gegenüber den Patienten zu.
Dr. Jörg Schade, Dipl.-Kfm., Steuerberater und Wirtschaftsprüfer und Laura Stüwe, Steuerberaterin, beide BUST-Steuerberatungsgesellschaft mbH Hannover.