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Die Blitzableiter
Gewalt gegen MFA: Verbale oder gar körperliche Angriffe hinterlassen Spuren
Medizinische Fachangestellte (MFA) sind bei ihren täglichen Einsätzen immer wieder verbalen Attacken und tätlichen Angriffen ausgesetzt. Die Formen der Gewalt sind sehr unterschiedlich. Es gibt Körperverletzungen, Beleidigungen, Sachbeschädigungen, Nötigungen, Bedrohungen …
MFA als Blitzableiter
Ob am Telefon oder am Empfang in der Praxis – die MFA sind in der Regel die ersten Ansprechpartner der Patientinnen und Patienten und somit diejenigen, die deren Unzufriedenheit oder Aggressionen unmittelbar zu spüren bekommen.
Immer häufiger berichten MFA von einer teils aggressiven Stimmung in den Praxen. Oftmals erhielten Patienten außerhalb der Arztpraxen Informationen, die falsch oder nicht ganz korrekt sind, und kämen dann mit einer gewissen Anspruchshaltung zu ihrem Arzt oder ihrer Ärztin.
Ob bestimmte Leistungen geeignet sind beziehungsweise ein Anspruch darauf besteht, klärt sich meist im Arzt-Patienten-Gespräch. Während der Corona-Pandemie, als der Anspruch der Impftermine nicht für alle verständlich war, wurde häufig der Frust an den MFA ausgelassen. Auch nach der Pandemie leiden viele MFA in ihrer Rolle als Blitzableiter in der Praxis. Angriffe, ob verbal oder körperlich, hinterlassen immer Spuren beim Personal.
„Praxen sollten für sich definieren, was Gewalt bzw. Aggression ist und wo diese beginnt.“
Patricia Ley,
Vizepräsidentin des Verbandes medizinischer Fachberufe
Patricia Ley, Vizepräsidentin des Verbands medizinischer Fachberufe, hat ihre Bachelorarbeit zum Thema Gewalterfahrung in Arztpraxen geschrieben. Dazu hat sie auch eine MFA-Befragung vorgenommen. Ergebnis: Mehr als 90 Prozent der Befragten haben im Berufsalltag bereits Erfahrungen mit dem Thema Gewalt gemacht. Vor allem passiv-aggressives Verhalten, aber auch demütigend-aggressives Verhalten, bedrohliche Situationen, Einschüchterung oder sogar sexuelle Belästigung haben die Befragten laut der Umfrage schon einmal erleben müssen. Erfahrungen, die MFA, aber auch Ärztinnen und Ärzte sowie andere Praxismitarbeitende teilweise hilflos, traurig und mit Selbstzweifeln zurücklassen, wie die Umfrage ergab. Die Arbeit der MFA in der Arztpraxis wird unattraktiver, der Ausstieg aus dem Beruf droht.
Verhaltens-Tipps für Ausnahmesituationen
Der Verband der medizinischen Fachberufe gibt MFA und Praxispersonal Tipps zum Verhalten gegenüber aggressiven Patienten. Es gibt präventive Ansätze, die in der Praxis etabliert werden können, beispielsweise:
- Fort- und Weiterbildung zu Kommunikation in schwierigen Situationen
- Deeskalationstrainings
- Regelungen im Qualitätsmanagement, zum Beispiel einen Gewaltschutzplan erstellen
- Gefährdungsbeurteilungen durchführen
- Einführung technischer und organisatorischer Schutzmaßnahmen bei Alleinarbeit (beispielsweise Notrufschalter)
- Etablierung einer Erstberatungsstelle
- regelmäßige Teambesprechungen und Auswertungen von belastenden Situationen
Wichtig ist es, im Team über das Thema zu sprechen und Verhaltensweisen und Maßnahmen vorzubereiten, sollte es zu brenzligen Situationen im Praxisalltag kommen. Wurden Maßnahmen besprochen, kann daraus ein Gewaltschutzplan erstellt werden. Praxen sollten für sich definieren was Gewalt beziehungsweise Aggression ist und wo diese beginnt. Der Umgang damit kann beispielsweise deeskalierendes Verhalten sein, das Praxen regelmäßig trainieren können. Auch der rechtliche Rahmen sollte abgesteckt werden: Wann sollte das Hausrecht beansprucht werden, wann erfolgt gegebenenfalls eine Anzeige bei der Polizei? Das Praxisteam sollte sich in jedem Fall gegenseitig unterstützen.
Was tun, wenn etwas vorgefallen ist?
Praxen können sich an die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) wenden und den Fall melden. Auch Belastungssituationen sollten bei der BGW gemeldet werden. Betroffene können außerdem eine Meldung an die Ärztekammer tätigen und durch Personalgespräche oder eine Supervision erste Maßnahmen ergreifen. Sollte es erforderlich sein, können Betriebsmediziner und eine Fachkraft für Arbeitsschutz hinzugezogen werden.
Mehr Schutz für Praxen
Der Gesetzgeber hat das Problem mittlerweile erkannt und auf die Tagesordnung gesetzt: So will das Bundesjustizministerium (BMJ) Angriffe auf Ärzte sowie Rettungskräfte härter bestrafen. Dafür plant das BMJ eine Erweiterung des Strafgesetzbuches. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) findet den Vorstoß gut, übt jedoch auch Kritik. So fordert der Vorstand der KBV ebenso einen besseren Schutz der Ärzte, Psychotherapeuten und Praxismitarbeitenden vor Anfeindungen und Gewalt. „Die Vertragsärzte, Psychotherapeuten und deren Mitarbeiter kümmern sich tagtäglich um die Gesundheit der Menschen im Land und leisten damit einen wichtigen Beitrag für das Gemeinwesen“, erklärt Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV. Doch gerade „Gewalt und aggressives Verhalten nehmen in der Gesellschaft zu.“ Dass spürten auch die Vertragsärzte und das Praxispersonal: So würden Beschimpfungen und rüdes Verhalten in den Praxen mehr und mehr zur Belastung. „Diese Entwicklungen wirken sich inzwischen auch auf die Attraktivität des MFA-Berufs negativ aus“, sagt KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sybille Steiner. Gerade MFA würden eine aggressiver werdende Gesellschaft – ob am Telefon oder bei der Anmeldung – häufig als Erste zu spüren bekommen. Daher fordert der KBV-Vorstand das Justizministerium auf, in dem Gesetzesentwurf die Praxen explizit zu erwähnen und „ihnen damit ebenfalls strafrechtlichen Schutz bei der Ausübung ihrer Tätigkeit zukommen zu lassen“.
Aggressives und respektloses Verhalten von Patientinnen und Patienten ist schlimmer geworden. In einer 2024 durchgeführten Umfrage der KV Bremen berichten viele Praxen von Beleidigungen und auch Angriffen. Die KV Bremen dokumentiert die Rückmeldungen in dieser Zitatensammlung.