Die Not mit dem Notfallgesetz
Im Herbst soll ein neuer Gesetzentwurf der Regierung vorliegen
Die Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD hat die Reform der ambulanten Notfallversorgung in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Auch beim Bundesgesundheitsministerium steht eine Reform auf der Arbeitsagenda. Doch still ruht der See …
Was soll das politische Ziel sein? Die drei Säulen der Notfallversorgung – ärztlicher Bereitschaftsdienst (Sitz- und Fahrdienst), Notaufnahmen der Krankenhäuser und Rettungsdienste sollen besser vernetzt werden, um Patientinnen und Patienten zielgerichteter zu steuern.
Bis Mitte Oktober 2025 lag kein neuer Gesetzentwurf für eine Reform der Notfallversorgung in Deutschland vor. Der Kabinettsentwurf für ein NotfallGesetz (NotfallG) aus dem Juli 2024 war nach dem Bruch der Regierungskoalition nicht beschlossen worden. Die neuen Koalitionäre haben sich zu einer Weiterführung der Planungen auf Herbst 2025 verständigt.
Bei der Notfallreform sind sich Bund, Länder, die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) einig: Es muss sich etwas ändern! Allerdings wird die Frage der Ausgestaltung hinter den Kulissen heftig diskutiert.
Notfallreform – in welche Richtung soll es gehen?
Aus Regierungskreisen hört man, das wesentliche Bestandteile aus dem „alten“ Kabinettsentwurf aus dem vergangenen Jahr beibehalten werden sollen. Dazu gehört die Einrichtung Integrierter Notfallzentren (INZ) durch Krankenhäuser und den Kassenärztlichen Vereinigungen. Die Einführung von INZ, in der eine Krankenhaus-Notaufnahme mit einer Bereitschaftsdienstpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) kombiniert werden soll, ist bei der KVN und der KBV umstritten.
Den Grundgedanken integrierter Strukturen bewertet die KVN grundsätzlich positiv. Schon heute betreibt die KVN an 69 Krankenhausstandorten eine vertragsärztliche Bereitschaftsdienstpraxis während der Bereitschaftsdienstzeiten. Eine ausgeweitete notdienstliche Akutversorgung an Krankenhäusern mit telemedizinischen Beratungen und einem fahrenden Bereitschaftsdienst rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche ist durch Vertragsärztinnen und Vertragsärzte aber definitiv nicht leistbar. Die Personalausstattung und die Finanzierung der geplanten INZ-Strukturen ist darüber hinaus völlig offen. Die KVN hat vor dem Hintergrund eines zunehmenden Ärztemangels keine weiteren Ärztinnen und Ärzte in der Hinterhand. Es müssten bei einer Reform dieselben sein, die jetzt schon in ihren Praxen an der Belastungsgrenze arbeiten.
Dies sieht die KBV genauso. Sie warnt, dass die bisherigen INZ-Planungen zulasten der niedergelassenen Ärzteschaft gehen würden. Die Einrichtung einer ganztägigen Akutversorgung neben der Regelversorgung sowie einen flächendeckenden Fahrdienst im Bereitschaftsdienst könnten die Ärztinnen und Ärzte kaum stemmen. Dadurch werde der Zustrom in Notaufnahmen nur gefördert und ein unklares Rangverhältnis zwischen der etablierten Versorgung von Akutfällen durch vertragsärztliche Praxen und der neuen notdienstlichen Akutversorgung geschaffen.
Viel wichtiger sei es, den Zugang zu Krankenhausnotaufnahmen durch vorgelagerte Instanzen zu begrenzen.
Bessere Vernetzung und verpflichtende Ersteinschätzung
Den Weg einer verbindlichen Ersteinschätzung verfolgt auch die Politik. Sie spricht sich für eine bundeseinheitliche, gemeinsame medizinische Ersteinschätzung durch Krankenhaus- und Vertragsärzte aus.
Dies befürwortet auch die KVN. Aus Sicht der KVN sind die drei Bereiche Bereitschaftsdienst, Notfallambulanz und Rettungsdienst tatsächlich nicht optimal miteinander vernetzt. Es gibt keine echte Patiententriage – außer die Patienten rufen die 116117 an. Die KVN begrüßt eine bessere Vernetzung und Steuerung von Hilfesuchenden, um Überlastungen und Fehlsteuerungen zu vermeiden. Dazu sollte unbedingt ein telefonisches/digitales medizinisches Ersteinschätzungsverfahren – z. B. SmED – für alle drei Bereiche verbindlich und einheitlich eingeführt werden. Laut KVN muss es das Ziel einer Notfallreform sein, die Patienten effektiver in die richtige Versorgungsebene (ambulant oder stationär) zu leiten, um das System „Notfallversorgung“ zu entlasten. Eine digitale Fallübergabe zwischen den Versorgungsbereichen mit medienbruchfreier Übermittlung bereits erhobener Daten müsste möglich werden.
Die Strategie der obligatorischen Ersteinschätzung ist auch aus Sicht der KBV die Voraussetzung für Patientinnen und Patienten, überhaupt einen akuten Versorgungsanspruch nachzuweisen. Auf Basis der Ersteinschätzung erfolge dann die Zuordnung in eine angemessene Versorgungsebene. Das sei aus Sicht der KBV unabdingbar, wenn man die immer weiter klaffende Lücke zwischen der Nachfrage nach medizinischen Leistungen zu jeder Zeit und den begrenzten personellen sowie finanziellen Ressourcen unter Kontrolle bringen wolle.
Positiv bewertet die KVN den politischen Ansatz, dass die bisher getrennten telefonischen Anlaufstellen 116117 und 112 in einem neuen Gesundheitsleitsystem kooperieren sollen. Die Vorgaben dürften aber nicht einseitig von den Rettungsdiensten vorgegeben werden. Außerdem müssten die zahlreichen Leitstellen des Rettungsdienstes im Land reduziert werden, um eine sinnvolle digitale Vernetzung gewährleisten zu können.
Die KBV kann sich den Ausbau des Patientenservices über die 116117 vorstellen. Eine noch klarere Trennung der 116117 in eine Akutleitstelle und eine Terminservicestelle nach telemedizinischer Ersteinschätzung wäre eine sinnvolle Weiterentwicklung.
Die bisherige Diskussion der Notfallreform erschwert aus Sicht der KVN und der KBV die Sicherstellung der Akutversorgung durch Vertragsärztinnen und Vertragsärzte. Die KVen würden nach den bisherigen Plänen in personeller und finanzieller Hinsicht einseitig belastet. Darüber hinaus würde der Ansatz der Kooperation diverse bilaterale Vereinbarungspflichten und damit enorme bürokratische Aufwände verursachen.