„Das System von Anfang an neu zu denken, fanden wir gut“
Die Partner von KVN.akut: Uwe Beyes, Mitglied im Landesvorstand der Johanniter Niedersachsen/Bremen und die Internistin Claudia Höfer, ärztliche Leiterin bei den Johannitern für KVN.akut, im Gespräch über den neuen Fahrdienst, ihre Ansprüche an das Projekt und welche Konsequenzen die Dunkelheit in Niedersachsen erfordert.
Uwe Beyes ist Mitglied im Landesvorstand der Johanniter-Unfall-Hilfe e. V. Landesverband Niedersachsen/Bremen. Claudia Höfer ist Internistin und ärztliche Leiterin bei KVN.akut.
Kvn.magazin: Herr Beyes, als große Rettungsdienstorganisation hatten die Johanniter auch in der Vergangenheit viele Berührungspunkte mit dem Bereitschaftsdienst. Wie haben Sie, als die Ausschreibung für KVN.akut vorlag, intern über das neue Konzept diskutiert?
Uwe Beyes: Wir arbeiten ja schon über 20 Jahre mit der KVN zusammen und wollten daher unbedingt bei diesem Projekt dabei sein. Als die Ausschreibung kam, hatten wir aber durchaus zunächst ambivalente Diskussionen, da uns klar war, dass wir in kurzer Zeit einen kompletten Systemwechsel stemmen und natürlich als Organisation viel Verantwortung würden übernehmen müssen. Auch die Frage, ob wir genügend Ärztinnen und Ärzte finden würden, die bereit wären sich anstellen und sich in einen Dienstplan integrieren zu lassen, hat uns beschäftigt. Das waren schon Sorgen. Gleichzeitig war natürlich unser Anspruch, wenn wir den Auftrag annehmen, ihn auch zu erfüllen. Und zwar bestmöglich. Wir haben also intensiv mit allen Regionalvorständen diskutiert und dann gemeinsam entschieden, dass wir es versuchen wollen.
Hat Sie das Konzept von Anfang an überzeugt?
Beyes: Wir fanden es tatsächlich eine Superidee, nicht nur ein bisschen am System herumzuoperieren, sondern es vom Anfang her neu zu denken, um beim Patienten mehr Zufriedenheit zu erzielen. Den Ansatz, dass nicht immer ein Arzt zum Patienten fahren muss, sondern oftmals eine Gesundheitsfachkraft ausreicht, den fanden wir gut.
Wie ging es los, als der Zuschlag kam?
Beyes: Wir haben sehr schnell eine Projektgruppe gebildet und nachdem die letzten Gremienentscheidungen gefallen waren, konnten wir die Autos bestellen. Wir haben uns die räumlichen Sektoren genau angeschaut, um die Vorgabe von einer maximalen Anfahrtszeit von 60 Minuten zu erfüllen. Dafür haben wir natürlich auf vorhandenen Strukturen aufgebaut, aber auch zusätzliche kleinere Liegenschaften angemietet. Zudem mussten wir neue Softwarelösungen schaffen, den Datenschutz oder auch Mitbestimmungspflichten beachten. Gemeinsam mit der KV haben wir das alles in kurzer Zeit auf die Beine gestellt. Jetzt gilt es, aus der Projektstruktur in den Regelbetrieb zu kommen. Wir stellen daher auch Frau Höfer, unserer medizinisch Leitung, noch eine Kollegin zu Seite und bilden so eine Doppelspitze, die dann organisatorisch/kaufmännisch auf der einen und medizinisch/fachlich auf der anderen Seite besetzt ist.
„Beide Säulen, Telemedizin und nichtärztliches Personal, das ist genau der richtige Ansatz.“
Claudia Höfer
Frau Höfer, Sie haben in der Rettung und auch als Leitende Oberärztin gearbeitet. Nun haben Sie die medizinische Leitung bei KVN.akut übernommen. Was hat Sie an dem Projekt gereizt?
Claudia Höfer: Ich war auf einer Informationsveranstaltung der Johanniter, bei der Ärzte für das Projekt angesprochen wurden, und gleich sehr begeistert. Zur selben Zeit hatte ich bereits entschieden, mich beruflich zu verändern, mich aber eigentlich erstmal auf einen freien Sommer gefreut. Nach der Veranstaltung habe ich lang mit einem der Regionalvorstände telefoniert und viele Fragen gestellt. Ich fand das Projekt spannend. Beide Säulen, Telemedizin und nichtärztliches Personal, das ist genau der richtige Ansatz. Da hatte ich Lust drauf und habe mich spontan beworben.
Sie haben dann auch selbst Personal für KVN.akut gesucht.
Höfer: Für die GFK, also die Gesundheitsfachkräfte, haben wir normales Personalrecruiting mit Anzeigen und Radiowerbung gemacht. Es war kein Problem, Mitarbeitende zu finden. Wir haben schnell festgestellt, dass KVN.akut für die GFK und auch für die Fahrer ein attraktives Angebot ist. Wir versprechen bei der Tätigkeit ja auch viel Selbstständigkeit. Am Patienten arbeiten und Entscheidungen treffen, das durften ja bisher nur die Notfallsanitäter so richtig. Wir bieten hier einen Job mit viel Verantwortung, der aber vielleicht etwas weniger anstrengend ist, als eine Tätigkeit in der Rettung.
Beyes: Ich war erst etwas in Sorge, da die Arbeitszeiten gefühlt familienunfreundlich sind. Aber es scheint doch gut zu passen.
Was muss eine Gesundheitsfachkraft für den Job mitbringen?
Höfer: Die Gesundheitsfachkräfte, die wir für KVN.akut eingestellt haben, bringen eine mindestens dreijährige medizinische Ausbildung mit und erhalten insgesamt 320 Stunden Fortbildung an den Johanniter-Akademien. So können sie die Patienten anschließend gut versorgen.
Nach welchen Vorgaben arbeiten die Gesundheitsfachkräfte?
Höfer: Nach SOPs (Standard Operating Procedure), also detaillierten Arbeitsanweisungen, die festlegen, wie bestimmte Aufgaben oder Prozesse standardisiert und konsistent ausgeführt werden. Diese SOPs haben wir für unsere Zwecke nochmal angepasst, auch um klarzumachen, wer was darf. Unser Ziel ist es, fachlich alle auf den gleichen Stand zu bringen – und das gelingt uns auch ganz gut. Es ist ja schon ein Unterschied, ob man Pflegekraft oder MFA oder Notfallsanitäter ist. Ich versuche, alle abzuholen, es ist ja für alle ein neues Feld. Ich bin daher viel vor Ort und berate die Fachkräfte.
Wie lief es mit der Rekrutierung der Ärztinnen und Ärzten?
Höfer: Bei den Ärzten war es regional unterschiedlich, mancherorts ging es aber auch recht schnell. Mittlerweile fehlen uns nur noch eine Handvoll Ärzte.
„Wir alle wünschen uns, dass die GFK mehr eingesetzt werden, um das ärztliche Personal zu entlasten.“
Uwe Beyes
Neu ist auch, dass Ärzte und GFK immer im Team mit Fahrern rausfahren. Warum ist das so angelegt?
Beyes: Wir waren uns einig, dass wir uns nur unter der Prämisse an der Ausschreibung beteiligen, dass wir niemanden allein losschicken. Niedersachsen ist groß und kann auch sehr dunkel sein. Stellen Sie sich vor, Sie fahren nachts allein durch den Ith und haben eine Reifenpanne. Hinzu kommt das Sicherheitsgefühl. Niemand weiß, wo er bei einem Einsatz eigentlich landet. Daher war das Zwei-Personen-Modell für uns elementar – auch wenn es natürlich teurer ist. Das Konzept kommt gut an. Außerdem kann man sich vor Ort helfen. Die Fahrer sind zwar keine GFK, können aber auf Weisung zur Hand gehen.
Der Telemediziner bei der 116117 klickt nach dem Patientengespräch bei Bedarf den Fahrdienst an. Erst dann kommen die Johanniter zum Einsatz. In der Dispositionszentrale wird entschieden, ob GFK oder Ärzte rausfahren. Dieser Ablauf wurde kürzlich angepasst. Warum?
Beyes: Ja, an dieser Stelle haben wir gemeinsam mit der KV nachgesteuert. Die Teleärzte schicken meistens die ärztlichen Kolleginnen und Kollegen in den Fahrdienst. Wir alle – auch die GFK selbst – wünschen uns aber, dass die GFK mehr eingesetzt werden, auch um das ärztliche Personal zu entlasten. Insofern ist es richtig, dass nun erst in der Dispo, aber durch ärztliches Personal entschieden wird, wer zum Patienten fährt.
Höfer: Mir ist dabei wichtig, mit den Ärzten in der Dispo eng zusammenzukommen, und ihnen zu erklären, was die GFK können und was die SOPs enthalten, damit sie eine fundierte Entscheidung treffen können.
Beyes: Für die GFK vor Ort gibt es zur Sicherheit ja die telemedizinische Rückkopplungsmöglichkeit mit dem Telemediziner in der Dispo.
Wie blicken die Vertreterinnen und Vertreter des Rettungswesens auf KVN.akut?
Höfer: Die sind sehr neugierig auf unser Projekt, wollen wissen, wie es funktioniert. Ich erkläre es oft und bin dafür beispielsweise nächste Woche in Braunschweig. Viele erkennen, was wir erreichen könnten. Die Chance ist riesig, dass wir Notaufnahmen und Rettungsdienste entlasten. Wenn weniger Patienten wegen uns dort aufschlagen, wäre das ein Riesenvorteil.
Wie lautet nach den ersten Monaten und Erfahrungen Ihr vorläufiges Fazit, Frau Höfer?
Höfer: Für mich ist es die richtige Entscheidung gewesen. Das Projekt kann wegen der zwei Säulen Telemedizin und GFK sehr erfolgreich werden. Unser Ziel muss es sein, nicht nur im Bereitschaftsdienst etwas zu verbessern, sondern auch im Rettungsdienst und in der Notfallmedizin. Die Chance haben wir jetzt und die müssen wir nutzen.
Was sagen Sie, Herr Beyes?
Beyes: Ich schließe mich an. Wir sehen es als große Chance, die sektorale Zusammenarbeit zu verbessern. Wir denken das Projekt ganzheitlich und kriegen es bislang sehr gut miteinander hin. Als Johanniter schätzten wir sehr das Vertrauen, das die KVN in uns setzt.
Wer sich als Ärztin oder Arzt für eine Mitwirkung bei KVN.akut interessiert kann sich an diese Adresse wenden: www.johanniter.de/kvn-aerzte