Prolog

Aktuell

KVN.akut: Der Fahrdienst ist mit solchen Autos in Niedersachsen unterwegs.

KVN.akut? Läuft!

Bereitschaftsdienstreform in ganz Niedersachsen umgesetzt und Telemedizin zum zentralen Bestandteil gemacht

Text: Lars Menz — Foto: Maike Müller, Johanniter

KVN.akut“ – nie gehört? Unter diesem Namen ist die von der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung (KVN) angeschobene Reform des Bereitschaftsdienstes in Niedersachsen seit dem 8. Mai 2025 in die Umsetzung gegangen. Sukzessive wurden die verschiedenen Regionen seitdem auf das neue System umgestellt seit Mitte Juni läuft es nun niedersachsenweit. Eine Ausnahme bilden die Ostfriesischen Inseln, wo das bisherige System beibehalten wird.

In der Anfangsphase zeigte vor allem das Pfingstwochenende traditionell stark frequentierte Tage im Bereitschaftsdienst –, dass das neue System belastbar ist. „Wir waren zu Pfingsten in allen Prozessen sehr erfolgreich und konnten zeigen, dass das neue System nicht nur gut funktioniert, sondern sehr effizient ist“, sagt Jasper Uhe, stellvertretender Unternehmensbereichsleiter bei der KVN und mit der Reform maßgeblich betraut. „Wir haben eine moderne und landesweit einheitliche Struktur in der ambulanten Akutversorgung geschaffen, die die niedergelassene Ärzteschaft entlastet und die Bevölkerung sehr gezielt versorgt.“

Telemedizin als neue und zentrale Versorgungsebene

Und so sieht das neue System konkret aus: Alle Patientinnen und Patienten, die die ärztliche Bereitschaftsdienst-Telefonnummer 116 117 anrufen, werden zunächst der strukturierten medizinischen Ersteinschätzung (SmED) unterzogen. SmED ermöglicht eine fundierte Empfehlung zur Behandlungsdringlichkeit und zur geeigneten Versorgungsebene. Patientinnen und Patienten, bei denen eine zeitnahe Behandlung notwendig ist (es kann nicht bis zur nächsten regulären Öffnung einer Praxis gewartet werden) und keine Weiterleitung in eine Bereitschaftsdienstpraxis möglich erscheint, werden künftig obligatorisch telemedizinisch durch eine Ärztin oder einen Arzt betreut. Dies geschieht telefonisch oder per Video innerhalb von 30 Minuten nach dem Anruf bei der 116 117. Die Teleärztinnen und -ärzte können auch ein elektronisches Rezept und eine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen. „Derzeit liegen wir deutlich unterhalb der 30-Minuten-Vorgabe“, sagt Uhe. „Zum Teil haben die Patientinnen und Patienten schon nach drei bis zehn Minuten Kontakt zu einer Ärztin oder einem Arzt. An der Telemedizin im Bereitschaftsdienst können alle Vertragsärztinnen und Vertragsärzte auf freiwilliger Basis teilnehmen. Die ersten Wochen haben eindeutig gezeigt, dass 60–70 Prozent der Fälle im Rahmen der Telemedizin abschließend geklärt werden können und damit der Fahrdienst massiv entlastet wird.“

Und Entlastung gibt es auch an anderen Stellen: „Durch die zügige und fallabschließende telemedizinische Versorgung sind die Anrufe bei der 112 mancherorts sogar zurückgegangen“, freut sich Thorsten Schmidt, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KVN, über die Effekte der erfolgreich angelaufenen Reform. „Das entlastet die Rettungsleitstellen und auch die Notaufnahmen in den Krankenhäusern.“

„Durch die fallabschließende telemedizinische Versorgung sind die Anrufe bei der 112 mancherorts zurückgegangen.“

Thorsten Schmidt,
stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KVN

Der Fahrdienst kommt auch weiterhin

Sollte im Arzt-Patienten-Gespräch deutlich werden, dass doch ein Hausbesuch notwendig ist, wird an den medizinischen Fahrdienst übergeben. „Der Fahrdienst kommt nur nach der ärztlichen Einschätzung durch die Teleärztin oder den Telearzt zum Einsatz“, erklärt Uhe. Die Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. übernimmt hier die Bereitstellung von qualifiziertem Personal ärztlich und nichtärztlich, ergänzt um Fahrerinnen und Fahrer. Zunächst soll grundsätzlich ausdrücklich nichtärztliches Personal den Fahrdienst leisten. Für komplexe Gesundheitsprobleme stehen den nichtärztlichen Gesundheitsfachkräften bei Bedarf Ärztinnen und Ärzte telemedizinisch als Unterstützung vor Ort zur Verfügung. Erst, wenn auch dies nicht ausreichend erscheint, fahren eine Ärztin oder ein Arzt selbst zum Patienten. Uhe: „An dieser Reihenfolge arbeiten wir noch. Zu Beginn haben viele Teleärzte oftmals entschieden, sofort eine ärztliche Kollegin oder einen ärztlichen Kollegen loszuschicken.“ So lag die Menge der Einsätze des nichtärztlichen Fahrdiensts Mitte Juni noch deutlich unter denen des ärztlichen Fahrdienst. „Hier schärfen wir gerade nach und sind mit den Akteuren im Gespräch“, erklärt Uhe, der sich sicher ist, dass sich das Verhältnis in den nächsten Wochen drehen wird.

Neue regionale Struktur, acht Sektoren, 16 Wachen und zwei Partner im Boot

Niedersachsen wurde im Zuge der Reform in acht neue Bereitschaftsdienstsektoren aufgeteilt orientiert an der Krankenhausplanung. Von insgesamt 15 regionalen Dienststellen aus rückt der Fahrdienst aus. Die Sitzdienststrukturen in den niedersächsischen Bereitschaftsdienstpraxen bleiben davon übrigens unbenommen.

Neben den Johannitern im Fahrdienst setzt die KVN auf die Expertise der TeleClinic GmbH, die die technische Plattform für den telemedizinischen Dienst bereitstellt.

Angepasste Bereitschaftsdienstumlage

Mit der Bereitschaftsdienstumlage werden die Kosten für den Betrieb der Bereitschaftsdienstpraxen, für den Dienstleister des Fahrdienstes (nichtärztlich und ärztliches Personal, Fahrer und Fahrzeug) und die Bereitstellung der Infrastruktur für die Telemedizin finanziert. Im Gegenzug fällt für die Vertragsärztinnen und Vertragsärzte die ansonsten kraft der Zulassung bestehende Verpflichtung zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst hinsichtlich des Fahrdienstes weg. Die Höhe der landesweit einheitlichen Bereitschaftsdienstumlage wurde von der KVN-Vertreterversammlung festgesetzt und beträgt 0,9 Prozent des Honorarumsatzes aus der vertragsärztlichen Tätigkeit. Wie bisher wird der Abzug der Umlage für den Bereitschaftsdienst im quartalsweisen Honorarbescheid ausgewiesen.

„Mit dem neuen Bereitschaftsdienstsystem machen wir dem ärztlichen Nachwuchs ein attraktives Angebot gerade im ländlichen Raum.“

Thorsten Schmidt,
stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KVN

Fazit

„Die Telemedizin im Bereitschaftsdienst bietet Ärztinnen und Ärzte in Niedersachsen zahlreiche Vorteile. Sie ermöglicht maximale Flexibilität, da sie ihre Dienste jederzeit und ortsunabhängig erbringen können. Die neue Arbeitsweise fördert zudem eine enge Zusammenarbeit mit den fahrenden Bereitschaftsdiensten, was die Versorgungssituation vor Ort weiter verbessert“, zieht Uhe ein erstes Fazit.

Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte freut es in der großen Mehrheit. Kein verpflichtender Bereitschaftsdienst mehr, bedeutet auch mehr Freizeit. Und die Patientinnen und Patienten sind zudem noch schneller und effizienter versorgt. „Eine Win-win-Situation“, nennt es Thorsten Schmidt. „Mit KVN.akut setzen wir auf eine zukunftsfähige und flexible Struktur zum Nutzen der Versorgung und auch zur Sicherung der Nachbesetzung von Vertragsarztsitzen insbesondere in ländlichen Regionen. Der Bereitschaftsdienst war in der Vergangenheit ja durchaus ein Niederlassungshemmnis. Mit dem neuen Bereitschaftsdienstsystem machen wir dem ärztlichen Nachwuchs ein attraktives Angebot zur Niederlassung in Niedersachsen – gerade auch im ländlichen Raum“, sagt der KVN-Vorstand.