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Praxis

„HzV macht einfach Spaß.“

Im Gespräch mit dem Hausarzt Aljoscha Wieghorst: Was schätzt er an der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV), was sagen seine
Patientinnen und Patienten und wie sieht er die Zukunft in einem möglichen Primärarztsystem? Das kvn.magazin hat nachgefragt.

Interview und Fotos: Lars Menz

Aljoscha Wieghorst (53) ist Hausarzt aus Leidenschaft. In seiner Praxis in Hannover-Seelze versorgt er rund 3.300 Kassenpatientinnen und -patienten, zudem 200 Heimbewohnerinnen und -bewohner sowie zurzeit rd. 33 Palliativpatienten. Sein Team besteht aus 24 Personen.

Herr Wieghorst, was ist HzV für Sie?
In der Hausarztzentrierten Versorgung werden die Patientinnen und Patienten mit ihren komplexen Erkrankungen umfassend von einer Hausärztin oder einem Hausarzt und der Praxis betreut. Konkret gesagt gehen Arzt und Patient einen Vertrag ein: Der Patient sagt, ich komme zuerst zu dir in die Hausarztpraxis und lass mich von dir beraten und ich als Arzt garantiere dem Patienten eine umfassende, strukturierte, regelmäßige Versorgung mit Medikationsmanagement, Impfkonzept und Früherkennung. HzV ist ein ganzheitlicher und nachhaltiger Ansatz mit Steuerungsfunktion. Wir als Hausärzte behalten immer den Überblick über die Patientinnen und Patienten, die wir durch die langfristige Bindung auch sehr gut kennen.

Die Hausarztzentrierte Versorgung wurde in Niedersachsen vor 15 Jahren eingeführt. Waren Sie von Anfang an dabei?
Ja, ich habe von Anfang an mitgemacht und die HzV immer aktiv beworben. Wir sind eine echte HzV-Praxis und möchten, dass jeder Patient, der dauerhaft in unsere Praxis kommt, den HzV-Vertrag unterschreibt und quasi Mitglied bei uns wird.

„Ich habe von Anfang an mitgemacht und die HzV immer aktiv beworben. Wir sind eine echte HzV-Praxis.“

Aljoscha Wieghorst,
Hausarzt

Was hat sie von der HzV überzeugt?
Bereits vor 15 Jahren, waren die steigenden Kosten im Gesundheitswesen abzusehen. Ich dachte, es braucht eine koordinierende Anlaufstelle, die die Patienten nicht nur vor Unterversorgung, sondern auch vor Über- oder Fehlversorgung schützt.

Wie ging das damals los?
Anfangs war es viel Arbeit, nicht nur, um die Patienten zu überzeugen, sich in die HzV einzuschreiben, sondern auch, um die Mitarbeitenden dazu zu bewegen, die Patienten zu informieren und zu motivieren. Das war in der ersten Zeit etwas mühsam. Aber vom Hausärztinnen- und Hausärzteverband Niedersachsen gab es viel Unterstützung, Fortbildungen und Informationen.

Stimmt es, dass etwa 80 Prozent der Anlässe, wegen der die Patienten vorstellig werden, bereits in der Hausarztpraxis gelöst werden können und nur der Rest zum Facharzt weitergehen muss?
HzV
schafft das. Kommt ein Patient mit einem Symptom – sagen wir Rückenschmerzen gibt es viele Differenzialdiagnosen. Geht dieser Patient aber zuerst zum Neurochirurgen, ist klar, dass er dort nicht gut aufgehoben ist. Ich kann die Kontakte, bis der Patient gut versorgt ist, deutlich reduzieren.

Wissen die Patientinnen und Patienten wirklich nicht genau, wer der richtige Arzt für sie wäre?
Die Patienten sind nicht schlecht informiert, in Zeiten von ChatGPT sind sie eher überinformiert, aber eben auch recht einseitig. Viele denken, sie bräuchten einen spezialisierten Facharzt und staunen dann, wenn wir im Rahmen der hausärztlichen Filterfunktion zahlreiche Untersuchungen selbst durchführen können. Es ist doch so: Da kommt ein Patient zum Arzt mit Schwindel. Und weil der Nachbar gesagt hat, das könne von der Halswirbelsäule kommen, landet er erstmal beim Orthopäden. Der Orthopäde schickt ihn zum Neurologen, der Neurologe zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt, es folgen weitere Fachdisziplinen bis hin zum Endokrinologen, der die Hormone bestimmt. Und am Ende ist es ein erhöhter Blutdruck, der beim Hausarzt bestimmt werden könnte. Wir sollten die Fachärzte von unnötigen Terminen befreien und ihnen Zeit für die wichtigen Fälle verschaffen. Dabei geht ja auch um finanzielle Effizienz und um die Reduzierung von Wartezeiten.

Sehen die Fachärztinnen und Fachärzte das ebenso?
Ich habe ein großes und gutes Netz an fachärztlichen Kolleginnen und Kollegen, die es sehr schätzen, Patientinnen und Patienten zu bekommen, die schon vorgefiltert sind. Und sie sehen auch keinen Sinn darin, einen Patienten, der einmal einen Herzinfarkt hatte, jährlich einzubestellen und immer wieder Normalbefunde zu erheben. Wir können in der Hausarztpraxis vieles abklären, und wenn ich dafür noch zeitnah einen Patienten beim Kardiologen unterbringen kann, ist allen geholfen.

Wir nutzen unsere Strukturen, um zeitnah Facharzttermine zu vermitteln, und ich biete auch Spät- oder Samstagsprechstunde an, ebenso wie Videosprechstunden.

Aljoscha Wieghorst,
Hausarzt

Wie überzeugen Sie Ihre Patientinnen und Patienten von der HzV?
Jede Patientin, jeder Patient, der in einer Kasse versichert ist, die eine HzV anbietet, wird darauf angesprochen. Ich erkläre, dass wir uns in meiner Praxis sehr um das Wohl der Patienten bemühen und sie auf dem Weg durch das Gesundheitssystem begleiten. Die persönliche Betreuung durch die HzV ist enger und persönlicher. Wir nutzen unsere Strukturen, um zeitnah Facharzttermine zu vermitteln, und ich biete den Patienten auch eine Spät- oder Samstagsprechstunde an, ebenso wie Videosprechstunden.

Was antworten die Patientinnen und Patienten?
Sie merken, dass sie einige Vorteile und eine Hausarztpraxis am Ort haben, die sich einsetzt und fortbildet, was die HzV ja auch vorschreibt. Patienten fragen auch aktiv nach der HzV. Es ist ja auch so, dass viele Patienten mit dem Gesundheitssystem nicht mehr so gut klarkommen, insbesondere die chronisch Kranken und die Älteren. Die brauchen häufig einen Rat. Im HzV, das zeigen Studien, ist die Versorgung auch von Chronikern besser. 85 Prozent unserer Patienten sind im HzV eingeschrieben.

Ist die HzV für Sie wirtschaftlich sinnvoll?
Ja – bei einem minimalen Mehraufwand. Ungefähr 10 bis 15 Prozent unseres Gesamtumsatzes stammt aus der HzV. Grundsätzlich priorisieren wir aber medizinisch, nicht marktgetrieben.

Ist die Beratung von HzV-Patienten nicht intensiver und zeitaufwändiger? Ist der wirtschaftliche Vorteil da nicht schnell aufgebraucht?
Die Beratung ist etwas intensiver. Der gleichzeitige Abbau von Bürokratie schafft aber mehr Zeit fürs Gespräch. In den HzV-Verträgen werden regelmäßig neue Module entwickelt, die in der Software hinterlegt werden, zum Beispiel Medikations-Checks. Ich muss diese Module zwar erst einmal implementieren, anschließend steigern sie aber die Versorgung. Das bringt mir nicht nur etwas mehr Geld, es beschleunigt auch Prozesse.

Die HzV und das nun auf Bundesebene diskutierte Primärarztsystem haben viel gemeinsam. Hat die HzV das geplante Primärarztsystem vorweggenommen?
Wir kennen die genaue Ausgestaltung des Primärarztsystems ja noch nicht. Aber die HzV dient seit 15 Jahren dazu, die Versorgung der Patienten in unserem mittlerweile sehr unübersichtlichen Gesundheitssystem zu verbessern. Es ist für alle gut, eine Anlaufstelle und einen Primärarzt – den man aber frei wählen können sollte – zu haben und an den man sich mit gesundheitlichen Problemen wenden kann.

Werden die Hausarztpraxen nicht zum Flaschenhals, wenn alle Patienten erst zu Ihnen kommen?
Es geht ja nicht darum, den Patienten etwas zu untersagen, sondern darum, sie richtig zu steuern und dadurch Zeit einzusparen. Viele Patienten werden einen solchen Systemwechsel gar nicht merken, weil sie ohnehin schon so vorgehen. Eine Minderheit wird es vielleicht als Bevormundung empfinden. Momentan macht sich der Patient häufig selbst einen Facharzttermin. Der fachärztliche Kollege schreibt im besten Fall einen Bericht, oft aber auch nicht. Und dann sitzt der Patient vor mir und möchte erklärt haben, was der Facharzt gesagt hat oder unter Zeitdruck nicht ausreichend erklären konnte. Das kann doch nicht sein. Ich wünsche mir von der Politik, dass sie den eingeschlagenen Weg beibehält, nicht wieder einknickt und das Primärarztsystem einführt. Es gibt gar keine andere Lösung, um Kosten im Gesundheitssystem einzusparen. Außerdem wird es in den kommenden Jahren viele Innovationen in den Hausarztpraxen geben. Schon jetzt kann vieles an VERAH, NäPa oder Primary Care Manager delegiert werden.

„Wir brauchen eine bessere Vernetzung, nicht Hausärzte gegen Fachärzte oder umgekehrt, sondern ein Miteinander.“

Aljoscha Wieghorst,
Hausarzt

Aber wie geht’s dann weiter mit der HzV?
Nochmal, wir können mit diesem Gesundheitssystem so nicht weitermachen. Die Kassen der Kassen sind leer. Es fließt zu viel Geld in nicht sinnvolle Strukturen. Wir brauchen eine bessere Vernetzung, nicht Hausärzte gegen Fachärzte oder umgekehrt, sondern ein Miteinander. Und im Grunde ist alles in der HzV schon angelegt. Ich würde das System daher zunächst beibehalten wollen, man sollte das nicht mit der Brechstange beenden, ohne zu wissen, was genau kommt. Und wenn etwas Neues kommt, ist meine konkrete Frage, was ich als Arzt verdienen werde, sollte die HzV-extra-Vergütung wegfallen. Am Ende will ich nicht schlechtergestellt sein als jetzt. Wenn aber eine bessere flächendeckende Versorgung stattfinden kann, bin ich bereit, vieles mitzutragen.

Was würden Sie sich gegenwärtig für die HzV wünschen?
Wünschenswert wäre, wenn wir mehr mit Pauschalen arbeiten könnten. Eine abrechenbare Einzelleistung führt dazu, dass sie häufiger erbracht wird, als sie notwendig ist. Eine Pauschale pro Patienten, die dazu führt, dass ich bestimmte Methoden, wie einen Ultraschall nur einsetze, wenn der Bedarf wirklich vorliegt, ist sinnvoller.

Ihr Fazit?
Die HzV
ist in meinen Augen ein absolutes Erfolgsmodell. Als Hausarzt ist es unverständlich, die HzV nicht zu machen. Wo ist der Nachteil? HzV macht die Versorgung besser, ist eine zusätzliche Einnahmequelle mit minimalem Zusatzaufwand und wichtig, damit wir als Hausärzte im Gesundheitssystem auch an Einsparungen mitwirken können. Und: HzV macht einfach wirklich Spaß. Ich kriege ja von meinen Patienten schriftlich, du bist mein Hausarzt. Das ist auf der zwischenmenschlichen Ebene schön und eine tolle Bestätigung. Das schweißt zusammen.