Prolog

Aktuell

Die Not wächst

Seit 40 Jahren unterstützt die Frauenberatung in Hannover von Gewalt betroffene Frauen

Text und Foto: Lars Menz

Die Beratungsräume sind wohnlich, die Beraterinnen zugewandt. Die Schwelle, Hilfe in Anspruch zu nehmen, soll möglichst niedrig sein.

Alle vier Minuten erlebt in Deutschland eine Frau Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. 2023 gab es 180.715 weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, so das Bundesinnenministerium. In Niedersachsen suchen in den insgesamt 46 Frauenhäusern jährlich rund 2.200 Frauen und etwa 2.000 Kinder Schutz. In der Landeshauptstadt ist die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt gegen Frauen gestiegen. Rund 4.482 Betroffene meldeten sich im vergangenen Jahr bei den hannoverschen Beratungsstellen etwa 300 mehr als im Jahr zuvor. Das geht aus dem Jahresbericht 2024 des „Hannoverschen Interventionsprogramms gegen häusliche Gewalt“ hervor.

Eine dieser Beratungsstellen ist die „Frauenberatung Hannover für Betroffene von Gewalt und krisenhaften Lebenssituationen“, die es bereits seit 33 Jahren gibt und Teil des „Vereins zum Schutz misshandelter Frauen und Kinder Niedersachsen e.V.“ ist. Dessen Angebot einer ambulanten Frauenberatung existiert wiederum bereits seit 1985. „Frauen, die Schutz in einem Frauenhaus suchen, haben einen hohen Beratungsbedarf. Daraus ist damals die Idee entstanden, auch außerhalb des Frauenhauses eine Beratung anzubieten“, erklärt Katrin Kammann, erste Vorsitzende des geschäftsführenden Vorstands der Frauenberatung. Ihre Arbeit finanziert sie aus Mitteln des Landes, der Region Hannover und der Stadt. Jedoch ist die Beratungsstelle auch auf Spenden angewiesen, um mit dem achtköpfigen Team aus Sozialpädagoginnen, Traumatherapeutinnen und derzeit einer Erzieherin in ihren Räumen in der hannoverschen Südstadt (Marienstraße 61) die Frauen beraten zu können. Im vergangenen Jahr waren es 294 Frauen, die die geschützten Räume aufgesucht haben – Männer haben hier keinen Zugang.

„Die betroffenen Frauen stehen enorm unter Druck und Angst“, so Kammann. Erschwerend komme hinzu, dass es mit Scham besetzt sei, sich Hilfe zu suchen. Die, die es dennoch tun, sind in der Regel zwischen 23 und 60 Jahre alt und kommen mit ganz unterschiedlichen Anliegen. „Manchmal benötigen die Frauen nur Information zu finanziellen Fragen, die mit einer Trennung einhergehen. Viele wollen sich aber auch vergewissern, dass sie wirklich häusliche Gewalt erleben und ihre Situation nicht normal ist. Die Täter sagen den Frauen ja oft, sie müssten sich ändern, dann wäre alles anders. Das ist psychische Gewalt“, so Andrea Müller, Leiterin der Frauenberatung (Name von der Redaktion geändert).

„Grundsätzlich kann sich jede Frau an uns wenden, egal ob vor Ort, per Telefon oder E-Mail und ganz gleich, in welcher Phase der Gewaltspirale sie sich gerade befindet“, erklärt Müller. Telefonische Sprechzeit ist an jedem Wochentag von neun bis zehn Uhr. „Da können wir erste Anliegen klären und einen zeitnahen Termin fürs 50-minütige und kostenfreie Erstgespräch vereinbaren. Mitunter kann bereits eine einzelne Beratung ausreichend sein, auf Wunsch ist jedoch auch eine längerfristige Begleitung bis hin zu psychotherapeutischen Maßnahmen möglich.

„Wenn man drin steckt im System, kann man die Probleme oft nicht erkennen. Wir helfen den Frauen, mit Abstand auf die Situation zu gucken.“

Andrea Müller,
Leiterin der Frauenberatung (Name von der Redaktion geändert)

Notfallplan machen

„Wenn man drin steckt im System, kann man die Probleme oft nicht erkennen. Wir helfen den Frauen, den Blick zu weiten und mit Abstand auf die Situation zu gucken“, sagt Müller. „Zunächst entwickeln wir einen Notfallplan mit den Frauen, das heißt, wir notieren Notfalltelefonnummern, klären, ob Nachbarn oder Freunde eingebunden werden können, die Warnzeichen deuten oder auch die Polizei rufen können. Bargeld sollte stets vorrätig sein und ein Koffer gepackt bei einer Freundin stehen. Wichtig sind auch Kopien von Dokumenten wie Personalausweis und Geburtsurkunde.“ Auch Passwörter sollten geschützt werden, denn gerade die digitale Gewalt nehme stark zu, so Müller. „Immer mehr Frauen werden gestalkt. Die Männer wissen über das Handy, wo sich die Frauen aufhalten, rufen ständig bei der Arbeit an, platzieren Tracker unterm Auto und posten Deep Fakes bei Instagram.“

Die Gewaltspirale baue sich dabei langfristig auf. Daher sei es gut, wenn die Frauen bereits Kontakt suchten, bevor sie massiv bedroht würden, oder sogar um ihr Leben bangen müssten.

Müller und ihre Kolleginnen wahren bewusst eine professionelle Distanz zu den Frauen, um sich nicht von der Vielzahl der Schicksale überwältigen zu lassen. Allen helfen zu können, sagen die Beraterinnen, sei ein Anspruch, der an der Realität scheitert. Und Müller sagt auch: „Die Not ist in den vergangenen Jahren größer geworden Corona hat das befeuert. Ein großes Problem ist der fehlende Wohnraum. Er verhindert oft eine Trennung, denn die Frauen wissen nicht, wohin sie gehen sollen.“ Auch die Dauer des Aufenthalts im Frauenhaus habe sich dadurch deutlich verlängert.

Einmal wöchentlich kommt eine Rechtsanwältin in der Beratungsstelle. Was müssen die Frauen bei der Trennung beachten, wie läuft das mit dem Unterhalt und was gilt es beim Sorgerecht zu bedenken: Fragen, die mit der Expertin geklärt werden können. Wichtig dabei auch immer: Was darf der Mann eigentlich fordern und was nicht? Die Beraterinnen versuchen zudem zu klären, wie die Männer aus dem gemeinsamen Haus oder der Wohnung verwiesen werden können jedoch finden diese selbst keine Wohnung. „Es fehlen Gesetze, um den Mann zu zwingen, die Situation zu verlassen. Immer wird nur geguckt, wo die Frauen hinkönnen“, kritisiert Müller. Politisch brauche es mehr Räume für Frauen und leichteren Zugang zum Wohnungsmarkt.

„Es fehlen Gesetze, um den Mann zu zwingen, die Situation zu verlassen. Immer wird nur geguckt, wo die Frauen hinkönnen.“

Andrea Müller,
Leiterin der Frauenberatung

Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten und Psychotherapeutinnen stärken

„Die Hausärztinnen und Hausärzte, aber auch die Gynäkologinnen und Gynäkologen sollten wissen, dass sie Patientinnen zu uns schicken können“, betont Müller, „und zwar nicht erst, wenn es total schlimm ist, sondern auch schon bei einem Anfangsverdacht auf häusliche Gewalt.“

Von Gewalt betroffene Frauen leiden oft an Schlafstörungen, Depression, Angststörungen oder Migräne. Ihr Stress drückt sich in Krankheit aus. „Ärztinnen und Ärzte müssen vielfältig sensibel sein und nicht erst, wenn bereits blaue Flecken auftreten. Wir würden daher gern mehr Kontakt zu Hausärztinnen, Psychotherapeutinnen und auch Psychiaterinnen aufbauen“, wünschen sich die Beraterinnen.

Und was sind bei all dem Leid die schönen Momente der Arbeit? „Wenn wir die Frauen aufblühen sehen, wenn sie ihr früheres Selbstwertgefühl zurückerlangen und anfangen, selbstständig für sich zu sorgen: Ein eigenes Konto, ein eigenes Einkommen, eine gesicherte Kinderversorgung das sind wichtige Meilensteine.“ Bei all dem Leid auch zusammen scherzen zu können, sei ebenfalls ganz wichtig. Müller fasst zusammen: „Es ist einfach sinnstiftend, Menschen in prekären Situationen zu unterstützen. Es ist immer toll, wenn die Frauen irgendwann sagen, ich lasse das nicht mehr mit mir machen.“

Frauenberatung für Betroffene von Gewalt und krisenhaften Lebenssituationen

Marienstraße 61, 30171 Hannover

Telefon: 0511 323233

info@frauenberatung-hannover.de

www.frauenberatung-hannover.de

Frauenhaus24

Sofortaufnahme für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder in Hannover.

Telefon rund um die Uhr: 0800 77 080 77

Fax: 0511 26 00 46 10

info@frauenhaus24hannover.de

Netzwerk ProBeweis an der MHH

Das Netzwerk ProBeweis an der Medizinischen Hochschule Hannover bietet Hilfe und Unterstützung für Menschen bei häuslicher oder sexueller Gewalt und dokumentiert die Beweise unabhängig von einer Anzeige bei der Polizei. Das sichert die Möglichkeit, auch später noch gegen Verursacher vorzugehen.

Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Rechtsmedizin, Netzwerk ProBeweis

Gebäude I6 (Eingang Süd), Ebene H0, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover

Telefon: 0511 532-4599

probeweis@mh-hannover.de