Schwerpunkt

Evaluation

Die Ergebnisse

Die Evaluation der AOK zur Hausarztzentrierten Versorgung zeigt, was die HzV bringt.

Text: Dr. Jona T. Stahmeyer und Melissa Hemmerling

2004 fügte der Gesetzgeber mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GKV-GMG) den Paragrafen 73 b „Hausarztzentrierte Versorgung“ (HzV) in das SGB V ein. Die Krankenkassen wurden hierdurch verpflichtet, ein flächendeckendes hausarztzentriertes Versorgungsangebot anzubieten, mit dem Ziel, die Qualität der medizinischen Versorgung durch eine stärkere Steuerung zu verbessern und zudem unnötige Kosten (z.B. durch Doppeluntersuchungen) zu vermeiden. Außerdem müssen teilnehmende Ärztinnen und Ärzte gewisse Qualitätsanforderungen erfüllen. Dazu gehört die Teilnahme an strukturierten Qualitätszirkeln, Fortbildungen und die Behandlung entsprechend der für die hausärztliche Versorgung entwickelten, evidenzbasierten und praxiserprobten Leitlinien sowie ein praxisinternes Qualitätsmanagement.

Einige Hausarztverträge sind als sogenannte Add-on-Verträge gestaltet. Dies bedeutet, dass im Rahmen der HzV zusätzliche über die Regelversorgung hinausgehende Leistungen vergütet werden. Die Abrechnung erfolgt über die Kassenärztlichen Vereinigungen. Alternativ gibt es Vollversorgungsverträge, die in der Regel ohne Beteiligung der Kassenärztlichen Vereinigung geschlossen werden. Dazu müssen mindestens 50 Prozent der Hausärzte an dem Vertrag teilnehmen (1).

Gemeinsam mit den Hausärztinnen- und Hausärzteverbänden Niedersachsen und Braunschweig sowie der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen wurde das Hausarztmodell der AOK Niedersachsen als Add-on-Vertrag im Jahr 2010 eingeführt. Derzeit nehmen über 860.000 Versicherte der AOK Niedersachsen sowie 3.700 Hausärzte an dem Vertrag teil (Stand Februar 2025).

„Die HzV bedeutet mehr Zeit, bessere Koordination und weniger Krankenhausaufenthalte die Evaluation zeigt, dass unser Engagement in diesem Bereich nicht nur sinnvoll, sondern auch wirksam ist.“

Frank Preugschat,
Geschäftsführer Versorgungs- und Leistungsmanagement bei der AOK Niedersachsen

Ergebnisse aus anderen Bundesländern

Ergebnisse von Evaluationen zu den Effekten der HzV liegen für einige Verträge vor. Am umfangreichsten wurde bislang der Vollversorgungsvertrag der AOK Baden-Württemberg evaluiert (2–4). Hier zeigte sich in der aktuellsten Auswertung eine verbesserte Steuerung der Patienten, weniger Polymedikation sowie ein geringerer Anteil an Patienten mit (vermeidbaren) Krankenhausbehandlungen. Gleichzeitig zeigten sich leicht geringere Gesundheitsausgaben bei den HzV-Teilnehmenden (2). In einer Evaluation des Add-on-HzV-Vertrags der AOK Rheinland/Hamburg konnten keine positiven Effekte der HzV bei der Patientensteuerung im ambulanten Bereich, auf Notaufnahmebesuche sowie Krankenhausbehandlungen festgestellt werden. Positiv war jedoch eine erhöhte Impfquote bei den HzV-Teilnehmerinnen und -teilnehmern (5). Im Rahmen der Evaluation des HzV-Vertrags der AOK Plus in Thüringen zeigte sich ebenfalls kein relevanter Einfluss der HzV auf die Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen oder Kosten (6). Eine Evaluation der HzV-Verträge der Ersatzkassen kam zu unterschiedlichen Ergebnissen. Während eine bessere Patientensteuerung sowie eine erhöhte Teilnahme am Check-Up (Gesundheitsuntersuchung) beobachtet wurde, kam es zu unklaren Effekten bei dem Einfluss auf Polymedikation sowie Versorgungskosten (7).

Insgesamt stellt sich ein sehr heterogenes Bild der Effekte der HzV dar. Dies kann auf unterschiedliche Vertragskonstellationen (Vollversorgungs- vs. Add-on-Verträge), Vertragsinhalte sowie die jeweilige regionale Umsetzung zurückzuführen sein. Weiterhin wurden die Evaluationen zu verschiedenen Zeitpunkten und mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen und betrachteten Ergebnisparametern durchgeführt, so dass ein direkter Vergleich der Ergebnisse erschwert ist. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, die jeweiligen Verträge einzeln zu betrachten und eine regelmäßige Evaluation durchzuführen.

„Die HzV stärkt die Rolle des Hausarztes als Lotse im Gesundheitswesen das zahlt sich aus: für unsere Versicherten und alle Beteiligten.“

Frank Preugschat,
Geschäftsführer Versorgungs- und Leistungsmanagement bei der AOK Niedersachsen

Methodisches Vorgehen

Um die Auswirkungen der HzV-Teilnahme auf qualitative Aspekte der Versorgung zu untersuchen, wurde eine retrospektive Querschnittsanalyse auf Basis von GKV-Routinedaten der AOK Niedersachsen durchgeführt.

Neben Verordnungsaspekten und Verordnungen wurde die Inanspruchnahme von spezifischen Leistungen, insbesondere mit dem Fokus auf Prävention untersucht. Der Erhalt bzw. die Inanspruchnahme wurde über Behandlungsfälle (z.B. im Krankenhaus) oder im ambulanten Sektor über spezifische Leistungsziffern entsprechend des EBM-Katalogs abgebildet (z.B. Krebsfrüherkennung und Impfungen).

In die Analysen wurden Versicherte der AOK Niedersachsen eingeschlossen, die im Betrachtungsjahr 2022 sowie im Jahr 2021 durchgängig versichert und mindestens 16 Jahre alt waren. Das Vorbeobachtungsjahr 2021 wurde gewählt, um die Morbidität der Versicherten abzubilden. Versicherte, die im Jahr 2022 durchgängig an der HzV teilgenommen haben, bilden die Interventionsgruppe, und Versicherte, die im Jahr 2022 nicht an der HzV teilgenommen haben, bilden die Vergleichs- bzw. Kontrollgruppe. Die Analysepopulation umfasst insgesamt 2.126.300 Versicherte (HzV-Teilnehmer: 631.756 Versicherte; Nicht-HzV-Teilnehmer/Kontrollgruppe: 1.494.544 Versicherte).

Die Morbidität der Versicherten wurde anhand der im ambulanten und stationären Bereich kodierten Diagnosen nach ICD-10 aus dem Jahr 2021 bestimmt. Um als erkrankt zu gelten, musste mindestens einmal eine gesicherte ambulante Diagnose oder eine stationäre Haupt- oder Nebendiagnose kodiert worden sein. Folgende Erkrankungen wurden betrachtet: Diabetes Typ 1 (ICD E10), Diabetes Typ 2 (ICD E11), Hypertonie (ICD I10), koronare Herzerkrankung (KHK) (ICD I25), Asthma (ICD J45), chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) (ICD J44), Rückenschmerz (M54), Depression (ICD F32, F33), Krebs (ICD C00-C97, ohne C44), Fettstoffwechselstörung (ICD E78), Adipositas (ICD E66) und Nierenerkrankungen (ICD N18). Für die Parameter Herzinfarkt (stationäre Hauptdiagnose ICD I21/I22) und Schlaganfall (stationäre Hauptdiagnose ICD I60-I64) wurden zusätzlich die Verstorbenen aus dem Jahr 2022 (n=38.858) in die Analysen einbezogen und noch weitere Risikofaktoren für die Entstehung von Herzinfarkten oder Schlaganfällen berücksichtigt (Atherosklerose [ICD I70], Vorhofflimmern [ICD I48], Herzinsuffizienz [ICD I50] und Nikotin- und Alkoholmissbrauch [ICD F17, F10]) betrachtet. Darüber hinaus wurden das Alter und das Geschlecht aus den Daten extrahiert.

Die Ergebnisse werden zunächst deskriptiv dargestellt und Unterschiede zwischen HzV-Teilnehmenden und Nicht-HzV-Teilnehmenden untersucht. Um die Auswirkungen von Alters-, Geschlechts- und Morbiditätsunterschieden zwischen den HzV-Teilnehmenden und der Kontrollgruppe bezüglich der betrachteten Outcomes zu berücksichtigen, wurden verschiedene Regressionsanalysen vorgenommen. In Abhängigkeit von der Art des Outcomes wurden lineare oder logistische Regressionsanalysen durchgeführt. Folgende Variablen sind in die Analysen einbezogen worden: Alter, Geschlecht, Morbidität und HzV-Teilnahme (ja/nein). Die Analysen wurden mit IBM SPSS Statistics Version 25 durchgeführt. Es wurde ein Signifikanzniveau von p≤0,05 angenommen. Alle Daten wurden ohne direkten Personenbezug ausgewertet.

In der Analysepopulation sind 47,9 % männlich und 52,1 % weiblich. Unter den HzV-Teilnehmenden ist der Anteil der Frauen etwas höher (54,9 %) als in der Kontrollgruppe (50,9 %) (Tabelle 2). Das mittlere Alter der Gesamtpopulation beträgt 49,7 Jahre. Die HzV-Teilnehmenden sind deutlich älter (58,0 Jahre) als Nicht-Teilnehmer (46,2 Jahre).

Tabelle 1: Alter, Geschlecht und Morbidität der Studienpopulation

Tabelle 2: Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen

Tabelle 3: Adjustierte Ergebnisse zur Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen auf Basis der Regressionsanalysen

Ergebnisse

Hinsichtlich der Morbidität zeigt sich, dass die HzV-Teilnehmenden eine deutlich höhere Morbidität aufweisen als die Nicht-HzV-Teilnehmenden. Die drei häufigsten Erkrankungen sind Hypertonie (HzV: 51,8 %, Kontrollgruppe: 26,3 %), Rückenschmerz (HzV: 38,6 %, Kontrollgruppe: 26,7 %) und Fettstoffwechselstörungen (HzV: 32,1 %, Kontrollgruppe: 15,8 %). (Tabelle 1: Alter, Geschlecht und Morbidität der Studienpopulation)

Die deskriptiven Analysen zeigen eine deutlich erhöhte Inanspruchnahme an Präventionsleistungen seitens der HzV-Teilnehmenden, sowohl bei Impfungen als auch im Rahmen der Krebsfrüherkennung. Ebenso nehmen deutlich mehr HzV-Teilnehmerinnen und -teilnehmer an Disease-Management-Programmen teil. Auch eine Verordnung von Heilmitteln kann häufiger bei HzV-Teilnehmenden beobachtet werden. Auffällig ist, dass auch häufiger potenziell vermeidbare Krankenhausaufenthalte beobachtet werden können. Weiterhin erlitten mehr HzV-Teilnehmende einen Herzinfarkt oder Schlaganfall. HzV-Versicherte hatten im Jahr 2022 durchschnittlich 4,7 Behandlungsfälle beim Hausarzt und 5,1 Behandlungsfälle beim Facharzt (ohne Augen und Frauenarzt). Nicht-HzV-Teilnehmende hatten 3,3 Behandlungsfälle beim Hausarzt und 3,7 Behandlungsfälle beim Facharzt. Diese teilweise negativen Ergebnisse sind nicht verwunderlich und spiegeln das deutlich ältere und kränkere Klientel in der HzV wieder. Für einen fairen Vergleich erfolgt daher eine Adjustierung, so dass Unterschiede in der Alters- und Geschlechtsstruktur sowie der Morbidität ausgeglichen werden (Tabelle 2: Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen).

Nach der Adjustierung für Alter und Geschlecht zeigt sich eine deutlich erhöhte Wahrscheinlichkeit für die Teilnahme an Präventionsangeboten. So ist die Wahrscheinlichkeit für ältere Versicherte,Schutzimpfungen in Anspruch zu nehmen, bei den HzV-Teilnehmenden deutlich erhöht (OR 1,27-1,38). Auch ist die Teilnahme an Disease-Management-Programmen deutlich höher. Einzige Ausnahme ist das Programm für Typ-1-Diabetiker. Hier haben HzV-Teilnehmende leicht geringere Teilnahmeraten. Vermutlich werden diese Patientinnen und Patienten überwiegend in diabetischen Schwerpunktpraxen versorgt. Bei gleichzeitig erhöhter Inanspruchnahme des ärztlichen Bereitschaftsdienstes durch HzV-Teilnehmende kann weiterhin eine geringere Wahrscheinlichkeit für ambulant-sensitive Krankenhausaufenthalte bei HzV (OR 0,95) nachgewiesen werden.

Nach Adjustierung zeigt sich bei HzV-Teilnehmenden eine geringere Wahrscheinlichkeit, einen Schlaganfall zu erleiden (OR 0,94). Die Häufigkeit von Herzinfarkten unterschied sich nicht zwischen HzV- und Nicht-HzV-Teilnehmenden. Auch Unterschiede bei Krankenhausaufenthalten von Pflegeheimbewohnern wurden nicht gefunden. Bei Pflegebedürftigen wurde für HzV-Teilnehmende eine etwas häufigere Zunahme des Pflegegrads festgestellt. Bezüglich Heilmittelverordnungen konnte eine häufigere Versorgung von Physiotherapie sowie leicht geringere Verordnungshäufigkeiten für Logo- und Ergotherapie sowie Podologie bei HzV-Teilnehmenden beobachtet werden. Bezüglich der Behandlungsfälle bei niedergelassenen Ärzten ergeben sich durchschnittlich 0,6 Behandlungsfälle mehr für den hausärztlichen Bereich sowie 0,2 Behandlungsfälle mehr für den fachärztlichen Bereich bei HzV-Teilnehmenden. Ein Steuerungseffekt kann somit nicht beobachtet werden. (Tabelle 3: Adjustierte Ergebnisse zur Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen auf Basis der Regressionsanalysen).

„Unser Ziel ist es, Versorgung patientennah und wirksam zu gestalten – die Evaluation der HzV zeigt, dass genau das gelingt.“

Jan Seeger,
stellvertretender Vorstandsvorsitzender der AOK Niedersachsen

Diskussion

Die Ergebnisse zeigen, dass in der HzV der AOK Niedersachsen ein vergleichsweise älteres und morbideres Patientenkollektiv versorgt wird. Dies ist nicht verwunderlich, da die HzV einen besonderen Fokus auf die Versorgung von multimorbiden Patientinnen und Patienten und deren Steuerung legt. Ähnliche Ergebnisse zeigen sich beispielsweise auch bei der Evaluation der HzV der AOK Plus für Thüringen (6), was noch einmal die Notwendigkeit einer Risikoadjustierung bei der Betrachtung von Effekten verdeutlicht. Eine direkte Vergleichbarkeit der HzV-Verträge ist durch unterschiedliche Vertragsinhalte und regionale Strukturen erschwert.

Literatur

  1. Weigelt U, Tesic D: Hausarztzentrierte Versorgung nach § 73b SGB V: Vollversorgungs- oder Add-on-Vertrag? Gesundheits- und Sozialpolitik 2015; 2015.
  2. AOK Baden-Württemberg: Neue Versorgung Gesund in Baden-Württemberg. 2025. https://neueversorgung.de/… (zugegriffen 1. März 2025)
  3. Laux G, Szecsenyi J, Mergenthal K, u. a.: [GP-centered health care in Baden-Württemberg, Germany: Results of a quantitative and qualitative evaluation]. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2015; 58: 398–407.
  4. Stegmaier P: Szecsenyi: „Die Beweise liegen auf dem Tisch“. Monitor Versorgungsforschung 2023.
  5. Klora M, Zeidler J, May M, Raabe N, von der Schulenburg J-MG: [Evaluation of family doctor-centred health care in Germany based on AOK Rheinland/Hamburg claims data]. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes 2017; 120: 21–30.
  6. Freytag A, Biermann J, Ochs A, u.a.: The Impact of GP-Centered Healthcare. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 791–8.
  7. Aqua-Institut: Evaluation von fünf Ersatzkassen-Hausarztverträgen auf Grundlage des § 73b SGB V. Göttingen 2006.